Reform der Erwerbsminderungsrente senkt Armutsrisiko nur unzureichend

Armutsrisiko Erwerbsgeminderter ist mit 26 Prozent deutlich höher als in Gesamtbevölkerung – Neue Rentenberechnung ab Juli 2024 senkt Armutsrisiko Erwerbsgeminderter zwar um acht Prozent, es bleibt aber hoch – Stärkerer Fokus sollte auf Prävention und Rückkehr in den Arbeitsmarkt liegen

Die jüngste Reform der Erwerbsminderungsrente, die in Deutschland im Juli 2024 in Kraft treten wird, kann das Armutsrisiko Erwerbsgeminderter um acht Prozent und die Armutsquote sogar um zwölf Prozent senken. Dennoch bleiben die Quoten unter Erwerbsgeminderten fast doppelt so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), für die DIW-Ökonom*innen der Abteilung Staat die Einkommenseffekte der Reform mit Hilfe von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der Rentenversicherung geschätzt haben.

„Der Wegfall des Erwerbseinkommens, beispielsweise durch einen Unfall oder eine chronische Erkrankung, wird zwar durch die Erwerbsminderungsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Diese ist aber so niedrig, dass Erwerbsgeminderte einem sehr hohen Armutsrisiko ausgesetzt sind und überdurchschnittlich häufig Leistungen der Grundsicherung beziehen“, fasst Studienautor Peter Haan, Leiter der Abteilung Staat, das Problem zusammen. Das Erwerbsminderungsrisiko ist für Geringqualifizierte und Niedrigeinkommensbeziehende deutlich höher als im Durchschnitt. Dies führt zu geringen Renten im Erwerbsminderungsfall und verschärft das Armutsrisiko, das bei Erwerbsgeminderten mit 26 Prozent deutlich höher ist als in der Gesamtbevölkerung, in der es bei 16 Prozent liegt.

Für viele kommt die Reform zu spät

Die Forscher*innen schätzen, dass rund 4,5 Millionen Menschen in Deutschland derzeit Erwerbsminderungsrente beziehen oder vor der Altersrente eine Erwerbsminderungsrente bezogen haben. Von der Reform im kommenden Jahr werden rund 2,6 Millionen Menschen direkt profitieren. Dann bekommen erstmals diejenigen Bestandsrentner*innen, die zwischen 2001 und Juni 2014 in Erwerbsminderungsrente gegangen sind, einen Zuschlag von 7,5 Prozent beziehungsweise 4,5 Prozent, wenn sie zwischen Juli 2014 und vor 2019 in Rente gegangen sind. Bisherige Reformen in den Jahren 2014 und 2019 haben lediglich Neurentner*innen über Zurechnungszeiten bessergestellt.

„Hätte man die Verbesserungen vorheriger Reformen für den Rentenzugang auf den Bestand übertragen, hätte man die Renten eigentlich um etwa das Doppelte der jetzt geplanten Anhebung anpassen müssen“ Johannes Geyer

Die Berechnungen des DIW Berlin zeigen, dass die aktuelle Reform das Armutsrisiko der 2,6 Millionen Begünstigten zwar um knapp acht Prozent senken kann, sie aber weiterhin überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen sind. Das Risiko bleibt auch nach der Reform insbesondere bei den unter 65-jährigen Erwerbsgeminderten mit 32 Prozent sehr hoch (zuvor 34 Prozent). Zudem haben Erwerbsgeminderte im Schnitt eine niedrige Lebenserwartung; ein relevanter Teil der Begünstigten wird nicht mehr am Leben sein, wenn die Reform in Kraft tritt.

„Die Reform der Erwerbsminderungsrente ist ein wichtiger, wenn auch deutlich zu später Schritt für viele der Bestandsrentnerinnen und -rentner“, konstatiert Studienautor Johannes Geyer, stellvertretender Leiter der Abteilung Staat. „Hätte man die Verbesserungen vorheriger Reformen für den Rentenzugang auf den Bestand übertragen, hätte man die Renten eigentlich um etwa das Doppelte der jetzt geplanten Anhebung anpassen müssen.“

Fest steht aber, dass der Staat das Armutsrisiko nicht allein durch die gesetzliche Rentenversicherung oder eine höhere Grundsicherung in den Griff bekommt. „Der finanzielle Spielraum ist begrenzt. Daher sollte neben Umverteilungsmaßnahmen mehr in die Prävention investiert werden, um Menschen davor zu bewahren, überhaupt erwerbsunfähig zu werden“, empfiehlt Geyer. Zudem sollten sich Menschen aus der Erwerbsminderungsrente leichter wieder in die Erwerbstätigkeit integrieren können. Dies wäre vor allem vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels sinnvoll.

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