Abbau des Konsumstaus wird im Sommer zum Wachstumstreiber

Die pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Deutschland haben auch im Winterhalbjahr 2020/21 die Konsummöglichkeiten der privaten Haushalte spürbar eingeschränkt. Große Teile des stationären Einzelhandels sowie Dienstleistungsbetriebe, die auf persönliche Interaktion angewiesen sind, mussten schließen. Der Tourismus und ein Großteil des Gastgewerbes liegen brach. Die Auflösung des damit verbundenen Konsumstaus wird entscheidend für die konjunkturelle Erholung sein.

Wenn die Pandemie eine Lockerung der Restriktionen ab Q2 zulässt, könnten in einem konservativen Szenario etwa 30% der zusätzlichen Ersparnisse (EUR 50 Mrd.) im Jahr 2021 wieder in den privaten Konsum fließen, während fast 70% in Einlagen oder Vermögenswerten der privaten Haushalte verbleiben würden.

Dieses Szenario entspricht unserer jüngsten Prognose für den privaten Konsum von 0,7% im Jahr 2021.

In einem optimistischen Szenario, in dem fast EUR 65 Mrd. (40%) der zusätzlichen Ersparnisse bereits 2021 wieder in den privaten Verbrauch fließen, würde unsere Jahresprognose um gut 1 %-Punkt angehoben werden, was ein Aufwärtspotenzial von ½ %-Punkt für unsere Prognose des deutschen BIP in 2021 bedeutet.

Aus heutiger Sicht waren die Erwartungen drohender Arbeitslosigkeit während und nach dem ersten Lockdown zu pessimistisch, das entsprechende Sparmotiv könnte sich derzeit ebenfalls als übertrieben erweisen und somit einen stärkeren Rückfluss der zusätzlichen Ersparnisse während der Erholung begünstigen.

Abbau des deutschen Konsumstaus wird nach dem Lockdown ein Wachstumstreiber

Die pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Winterhalbjahr 2020/21 begrenzten die Konsummöglichkeiten der privaten Haushalte wieder spürbar. In der Folge sank der private Verbrauch in Q4 2020 um 3,3% gg. Vq.

Weite Teile des stationären Einzelhandels sowie personenbezogene Dienstleistungsbetriebe mussten schließen, Tourismus und der Großteil des Gastgewerbes liegen brach. Auch wenn der Internethandel (Q4: +31,3% gg. Vj.) und verschiedene Lieferdienste in dieser Zeit einen regelrechten Boom verzeichnen, ist ein Teil der Nachfrage zumindest temporär ausgefallen und dürfte sich sprichwörtlich in Form quasi "verordneter" zusätzlicher Ersparnis aufgestaut haben. Da die Einschränkungen zu einem großen Teil bis in die zweite Märzhälfte weiterbestehen dürften, erwarten wir in Q1 einen erneuten Rückgang des privaten Verbrauchs um gut 4% gg. Vq. Der erneute Einbruch der deutschen Einzelhandelsumsätze im Januar von -4,5% gg. Vm. (Dez: -9,1%) ist ein deutliches Indiz für diese Entwicklung. Dem Rücksetzer in Q1 sollte dann aber eine kräftige Erholung des privaten Verbrauchs von +5% in Q2 und +4% in Q3 folgen. Voraussetzung dafür ist und bleibt jedoch, dass die Pandemieentwicklung eine Öffnung der gegenwärtig geschlossenen Wirtschaftsbereiche zulässt, sodass sich das Verbrauchervertrauen auch wieder deutlich aufhellt.

Wenn sich dieser Konsumstau im Zuge der Öffnungen löst, dürfte er einen substanziellen Schub für die konjunkturelle Erholung bringen. Gleichwohl ist nicht zu erwarten, dass der ausgefallene Konsum vollends nachgeholt wird. Dagegen spricht, dass insbesondere die Inanspruchnahme von personenbezogenen Dienstleistungen (Friseur, Restaurantbesuche, Ferienreisen etc.) meist eine zeitliche Komponente enthält, die einer überdurchschnittlich häufigen Nachfrage entgegensteht. Zudem dürfte die zusätzliche Ersparnisbildung ungleich verteilt sein und insbesondere bei einkommensstarken Haushalten stattgefunden haben, deren Sparneigung vergleichsweise hoch bzw. deren Konsumneigung niedrig ist. Viele langlebige Konsumgüter, wie Möbel, Unterhaltungselektronik oder Homeoffice-Ausstattung, dürften bereits während des Lockdowns im Frühjahr 2020 erneuert oder neu angeschafft worden sein.

Dennoch dürfte mit der Öffnung des stationären Einzelhandels und des breiten Spektrums der personenbezogenen Dienstleistungen eine kräftige Belebung der privaten Nachfrage einhergehen. In Kombination mit angebotsseitigen Engpässen sind in der konjunkturellen Erholungsphase teilweise deutliche Preisanstiege zu erwarten.

Quantifizierung des Konsumstaus infolge des zweiten Lockdowns

Für einen erneuten Konsumstau sprechen die gegenwärtige Ersparnisbildung der privaten Haushalte und auch die Erfahrungen nach dem Lockdown im Frühjahr 2020.

In Q2 2020 war die Sparquote auf einen Rekordwert von 20,3% (saisonbereinigt) hochgeschnellt und ging nach der Lockerung der Einschränkungen in Q3 deutlich auf 15,3% zurück. Gleichzeitig legte der private Verbrauch um kräftige 10,8% gg. Vq. zu, nachdem er zuvor in Q2 um 11% eingebrochen war. Insbesondere in der Tourismusbranche und im Gastgewerbe war das Aufatmen der Menschen förmlich zu spüren.

Das allgemeine Muster des Verbraucherverhaltens während und nach dem ersten Lockdown, das sich mehr oder weniger wiederholen sollte, spiegelt sich in den Komponenten des EC ESI Indikators zum Verbrauchervertrauen wider.

Mit der konjunkturellen Erholung in Q3 2020 ist vor allem die Sorge um Arbeitsplatzverluste in den kommenden 12 Monaten deutlich auf knapp unter 40 Punkten (Okt.) gesunken, nachdem sie im April mit 65,1 Punkten einen Höchststand erreicht hatte (Rekord von 79,8 (Mrz. 2009) während der Globalen Finanzmarktkrise).

Es ist plausibel, dass sich mit dem Nachlassen der Besorgnis auch das damit verbundene Vorsichtssparmotiv abschwächt. Dies spiegelt sich auch im Rückgang von 7,8 Punkten bei der Komponente "Gegenwärtiges Sparen" während der Wiedereröffnungsphase wider. Dem standen deutliche Zuwächse der Teilkomponente "Gegenwärtig größere Anschaffungen" gegenüber.

Im Zuge der Beschränkungen im Winterhalbjahr 2020/21 deuten die bisher verfügbaren Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) auf einen erneuten Anstieg des Sparens der privaten Haushalte. Im Gesamtjahr 2020 lag die Sparquote bei 16,2% und damit deutliche 5,6 %-Punkte über dem Mittel der vergangenen zwanzig Jahre. Da die Schließungen weitgehend bis in den März hinein andauern werden, dürfte sich die damit verbundene Ersparnisbildung erst einmal fortsetzen.

Der Rückfluss der zusätzlichen Ersparnis könnte begrenzt sein, wenn die Haushalte nach dem aktuellen Anstieg der Staatsverschuldung höhere zukünftige Steuerzahlungen antizipieren, wie es das Ricardo-de Viti-Barro-Äquivalenztheorem nahelegt. Zumal die zusätzlichen Ersparnisse vor allem von einkommensstarken Haushalten angesammelt wurden, die in Zukunft wahrscheinlich in erster Linie von höheren Steuern und Abgaben betroffen sein werden, sodass sie ein mögliches Motiv haben, mit ihren Ausgaben vorsichtiger zu sein.

Basisszenario einer anteiligen Auflösung des Konsumstaus im Jahr 2021

Die Ersparnis der privaten Haushalte lag im Jahr 2020 mit rd. EUR 331,1 Mrd. etwa EUR 111 Mrd. über dem Niveau der Jahre 2018 und 2019 (EUR 220,3 Mrd.). Zuzüglich einer groben Abschätzung für die Monate Januar und Februar 2021 von insgesamt rund 50 Mrd. (entspricht in etwa dem Anstieg von 2019 Q4 auf 2020 Q2) würde daraus etwa eine zusätzliche "Corona-bedingte" Ersparnis von EUR 160 Mrd. resultieren.

Vorausgesetzt die Entwicklung der Pandemie lässt eine Lockerung der Einschränkungen ab Q2 zu, könnten im Jahr 2021 in einem konservativen Basisszenario etwa 30% dieser zusätzlichen Ersparnis (EUR 50 Mrd.) in das Nachholen privaten Konsums zurückfließen, während nahezu 70% erst einmal in den Haushaltsvermögen verbleiben. Das erscheint plausibel, da die zusätzliche Ersparnis vor allem bei einkommensstarken Haushalten angefallen sein dürfte und diese allgemein eine hohe Sparneigung aufweisen. So könnten die Mittel in Finanzanlagen geflossen sein und dort erst einmal gebunden bleiben. Jüngste Pressemitteilungen aus der Fondsbranche (BVI) über kräftige Mittelzuflüsse stützen diese These.

Zudem könnten die Haushalte eventuell vorhandene negative Kontensalden ausgleichen oder Sondertilgungen für andere Kredite vornehmen, was den Rückfluss in den privaten Konsum dämpfen würde.

Die bereits erwähnte Zeitkomponente beim Konsum personenbezogener Dienstleistungen könnte einen zusätzlich bremsenden Faktor beim Nachholpotenzial darstellen. Und zu guter Letzt könnten trotz staatlicher Unterstützungsmaßnahmen auch auf der Angebotsseite Engpässe durch Unternehmenspleiten entstanden sein. In der Tourismusbranche könnte es zu deutlichen Engpässen kommen, wenn die Deutschen im Jahr 2021 vorzugsweise im Inland verreisen wollen.

Optimistisches Szenario: Deutsche gehen im Sommer auf ausgiebige Einkaufstour

Sollte das Konsumklima durch eine günstige Pandemieentwicklung (bspw. schnell einsetzende positive Temperatureffekte, Impfungen gewinnen an Dynamik, Virus-Mutanten eindämmbar) beflügelt werden und Angebotsengpässe eine eher untergeordnete Rolle spielen, könnte durchaus auch ein optimistischeres Szenario Realität werden.

Zudem deuten die Ergebnisse der EC ESI Unterkomponente zu den Erwartungen von Arbeitslosigkeit im Vergleich zu den realisierten Zahlen während und nach dem ersten Lockdown darauf hin, dass die Bedrohung in gewissem Maße überschätzt wurde. Dies erscheint auch plausibel, da die massive Ausweitung der Kurzarbeit die negativen Arbeitsmarkteffekte von COVID-19 bisher deutlich begrenzt hat. Daher könnte sich ein entsprechendes Vorsichtssparmotiv auch nach einer Lockerung der aktuellen Restriktionen als übertrieben erweisen und somit eine stärkeren Rückfluss begünstigen.

Sollten fast EUR 65 Mrd. (40%) der zusätzlichen Ersparnis bereits in 2021 zurückfließen, wäre dies ein deutliches Aufwärtsrisiko für unsere aktuelle Jahresprognose für den privaten Konsum im Jahr 2021. Wenn dieses optimistische Szenario eintritt, könnte der private Verbrauch trotz des Einbruchs im Winterhalbjahr 2020/21 um etwa 2% (statt 0,7%) im Gesamtjahr wachsen. Dies entspräche einem Aufwärtspotenzial von ½ %-Punkt für unsere aktuelle Prognose des deutschen BIP von 4 % im Jahr 2021.

Es sollte also klar sein, dass die Vorlaufindikatoren für den privaten Konsum im laufenden Jahr besonders im Fokus stehen dürften. In einem solchen Szenario werden sich eventuelle Angebotsengpässe noch stärker an der Preisfront bemerkbar machen.

Achtung, EZB: Inflation wird angeheizt, wenn starke Nachfrage auf knappes Angebot trifft

Insbesondere im optimistischen Szenario, aber auch für den obigen Basisfall, ist der Inflationsdruck nicht zu vernachlässigen. Die Frage ist nur, in welchem Ausmaß er letztlich realisiert wird und wie sich das auf die weiteren Inflationserwartungen der Haushalte auswirken wird. In unserer aktuellen Ausgabe des Ausblicks Deutschland: "Robustes BIP 2021, trotz Q1-Rückschlag – Inflation klettert auf 2%", haben wir unsere Sicht auf die Inflationsentwicklung im Jahr 2021 ausführlich erörtert. Für das laufende Jahr erwarten wir nun einen Anstieg des Verbraucherpreisindex (nationale Definition) auf 2% gg. Vj. (bisher 1,4%), gefolgt von 1,3% in 2022. Angesichts der Gefahr einer höheren Marktkonzentration und damit stärkeren Preisgestaltungsmacht der Unternehmen, die den Lockdown überlebt haben, könnte dies zu einer höheren Inflationsdynamik in den kommenden Quartalen führen. Dies könnte auch aus einer EWU-weiten Perspektive zutreffen, insbesondere wenn sich die durch COVID-19 verursachten ökonomische Verwerfungen vergleichsweise synchron lösen, da die Impfstofflieferungen bzw. die Durchimpfung in den verschiedenen Ländern eine gewisse zeitliche Kongruenz aufweisen.

In Kombination mit den aktuellen makroökonomischen Rahmenbedingungen einer ultraexpansiven Geld- und Fiskalpolitik, die wahrscheinlich eher später als früher drehen werden, könnten diese Faktoren im schlimmsten Fall zu einer strukturell höheren Inflationsdynamik führen.

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