Zum Welttag des Seegrases 2024 am 1. März: ein Meeresökosystem der Superlative

Am 1. März ist UN-Welttag des Seegrases (UN World Seagrass Day). Mit dem erst zum zweiten Mal stattfindenden Welttag will die UN zur Aufklärung über die Bedeutung von Seegraswiesen für die marine Artenvielfalt und den Klimaschutz beitragen. Gleichzeitig will man auf die Gefahren, denen dieses Ökosystem ausgesetzt ist, aufmerksam machen.

„Die Ökosystemleistungen von Seegraswiesen sind phänomenal, werden aber leider immer noch unterschätzt. Doch nach allem, was man bislang weiß, sind sie ein Meeresökosystem der Superlative. Seegraswiesen haben eine enorme ökologische und wirtschaftliche Bedeutung. Sie sind die vielleicht potenteste natürliche Kohlenstoffsenke, dienen vielen Tausend Tierarten als Lebensraum, für die Fortpflanzung und als Nahrungsgrundlage. Und das ist lange noch nicht alles, was Seegraswiesen können“, verdeutlicht der Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz.

Blütenpflanzen im Ozean

Seegras ist verwirrend. Das fängt beim Namen an, denn die ca. 60 Arten sehen zwar aus wie Gräser an Land, sind aber keine. Sie sind die einzigen Blütenpflanzen im Meer und wachsen meist in Wassertiefen von 1 bis 10 m an den Küsten fast aller Kontinente. Lediglich in der Antarktis fehlen sie.

Ein Füllhorn an Ökosystemleistungen

Seegraswiesen verwandeln zweidimensionalen Sandboden in einen vegetationsreichen, reich strukturierten dreidimensionalen Lebensraum. Hier leben unzählige, hauptsächlich kleinere Meerestiere wie Hummer, Krabben, Seepferdchen, Katzenhaie und Oktopusse.

Für Arten wir Dugongs (Seekühe) und Grüne Meeresschildkröten sind Seegraswiesen die Nahrungsgrundlage. Jungfische finden hier Schutz und Nahrung. Auf den lanzettförmigen Blättern legen Substratlaicher wie der Hering ihre Eier ab. Große Haie wie Tigerhaie patrouillieren auf der Suche nach Nahrung über den Meereswiesen.

Unterschätztes CO?-Speicherpotenzial

Je nach Standort und Art haben Seegraswiesen eine 30- bis 50-mal höhere CO?-Senkungsrate als Wälder. Je nach Art speichert eine ein Hektar große Seegraswiese dieselbe Menge Kohlenstoff wie zehn Hektar Wald und das auch noch 35-mal schneller. Experten schätzen, dass Seegraswiesen weltweit bis zu 15 Prozent des vom Ozean aufgenommenen CO? binden. Dabei bedecken sie schätzungsweise nur etwa 0,2 Prozent des Meeresbodens.

Hinzu kommt, dass sie den aufgenommenen Kohlenstoff in ihren Wurzelstöcken (Rhizomen) und im umgebenden Meeresboden für viele Tausend Jahre speichern können. Diesen für lange Zeit der Umwelt entzogenen Kohlenstoff nennt man „blauen Kohlenstoff“ oder Blue Carbon.

Außerdem stabilisiert das dichte Wurzelgeflecht der Pflanzen den Meeresboden und verhindert, dass dort eingeschlossener Kohlenstoff entweicht.

„Seegraswiesen sind eine extrem wirksame natürliche Kohlenstoffsenke. Sie könnten entscheidend für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels sein, wenn man ihre Zerstörung stoppen und sie renaturieren würde“, verdeutlicht Karlowski. „Wir müssen sie schützen. Auch weil sie im Zuge ihrer Zerstörung zu einer starken Kohlenstoff-Quelle werden, ähnlich wie entwässerte Moore an Land.“

Weitere Ökosystemleistungen von Seegraswiesen

Obwohl die Forschung dieses Ökosystem lange vernachlässigt hat, kennt man bereits zahlreiche auch für den Menschen nützliche Ökosystemleistungen.

  • Bei der Aufnahme von Kohlendioxid produzieren Seegräser große Mengen Sauerstoff (Fotosynthese).
  • Seegras wird seit Jahrhunderten von Küstenvölkern traditionell genutzt. Bis heute dient es als Nahrungsmittel, Tierfutter und Dünger oder für medizinische Anwendungen.
  • Seegras ist begehrt als klimafreundliches Dämm-, Füll- und Dichtmaterial.
  • Kostenloser natürlicher Küstenschutz: Je nach Situation vor Ort können Seegraswiesen Wellen mindestens um 25 bis 45 Prozent dämpfen, bevor diese auf die Küste treffen.
  • Entscheidende Funktion bei der Filterung und natürlicher „Sanitärreiniger“ von Küstengewässern. Intakte Seegraswiesen halten Partikel zurück, absorbieren Stickstoff aus der Wassersäule, recyceln Nährstoffe und beseitigen Bakterien und Viren. Damit tragen sie auch zu einer besseren Hygiene im Meerwasser und zur Gesundheit und zum Wohlbefinden des Menschen bei.
  • Seegraswiesen können durch ihre CO?-Speicherfähigkeit die Versauerung des Meeres lokal verringern.
  • Erst seit 2021 weiß man, dass das im Mittelmeer endemische Neptungras (Posidonia oceanica) eine bedeutende Senke für Mikroplastik und kleinteiliges Plastik ist. Spanische Wissenschaftler schätzen, dass die Posidonia-Wiesen des Mittelmeers beim jährlichen Abwurf ihrer Blätter bis zu 867 Millionen Plastikteile wieder zurück an Land verfrachten.

Superwiesen in Not

Fast so zahlreich wie ihre Ökosystemleistungen sind die Gefahren, denen die Meereswiesen ausgesetzt sind. Auch darauf macht der UN-Welttag des Seegrases aufmerksam.

Vor allem direkte Zerstörungen wie die Grundschleppnetzfischerei, Ankern in Seegraswiesen, Entfernung aus optischen Gründen zur Schaffung eines touristisch vermeintlich ansprechenderen Meeresbodens haben weltweit viele Flächen vernichtet.

Wie alle anderen Meeresökosysteme stehen auch Seegraswiesen unter Druck durch eine Kombination aus den Folgen der Klimakrise und intensiver Landwirtschaft. Die Überdüngung mit landwirtschaftlichen Abwässern in Verbindung mit steigenden Wassertemperaturen führt zu übermäßigem Algenwachstum und Überwucherung.

Auch sind Seegräser nur bedingt hitzetolerant. Liegt die Temperatur des umgebenden Meerwassers mehrere Tage lang bei über 30 Grad, bleichen die Blätter der Pflanzen aus und werden abgeworfen.

Laut UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) sind zwischen 1970 und 2000 weltweit etwa 30 Prozent aller Seegraswiesen verloren gegangen. „Auch an unseren Küsten in Nord- und Ostsee sind Seegraswiesen seit vielen Jahren auf dem Rückzug. Doch inzwischen hat ein Umdenken eingesetzt. Erste Programme zur Renaturierung von Seegraswiesen wurden in Angriff genommen“, sagt Ulrich Karlowski.

Projekt „Die Meeresgärtner“ – Renaturierung von Seegraswiesen im Mittelmeer

Die Deutsche Stiftung Meeresschutz unterstützt seit nunmehr zwei Jahren ein Projekt zur Renaturierung von Neptungraswiesen (Posidonia oceanica) im Mittelmeer.

Bei dem von der Organisation Project Manaia unter Leitung des Meeresbiologen Manuel Marinelli durchgeführten Renaturierungsprogramm wird ein Netzwerk aus Tauchbasen und Forschungsstationen im Mittelmeerraum geschaffen. Dort finden – nach entsprechender Schulung durch Project Manaia – kontinuierliche Anpflanzungen von Seegraspflanzen und –samen statt.

Ende 2023 umfasste das Meeresgärtner-Netzwerk 18 Stationen in Italien, Frankreich und Kroatien. Im Januar gewann das Projekt den boot dive award 2024 in der Kategorie Klimaschutz.

Über Deutsche Stiftung Meeresschutz (DSM)

Die Deutsche Stiftung Meeresschutz (DSM) ist eine Treuhandstiftung, die 2007 gegründet wurde. Ziel unserer Arbeit ist es, der Ausbeutung der Weltmeere und der Vernichtung ihrer Bewohner etwas entgegenzusetzen. In Kooperation mit engagierten Forschern und Organisationen rund um den Globus fördern und verwirklichen wir Projekte und Aktionen zum Erhalt des Lebens in den Meeren. Ermöglicht wird dies ausschließlich durch Spenden und Zuweisungen von Geldauflagen.

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