Biodiversität – die biologische Vielfalt – umfasst alles, was lebt. Lebewesen, ihre Lebensräume und ihre genetische Vielfalt. So geht es letztlich auch um die Lebensgrundlage für uns Menschen, wenn man so möchte z. T. auch unser verfügbares Biodiversitätskapital. Die Natur, die uns umgibt, ist unsere „Um-welt“ und Ausgangspunkt für alles Leben. Die verschiedenen Pflanzen- und Tierarten und auch der Mensch leben in vielen kleinen Ökosystemen und diese leiden.
Die Weltnaturkonferenz in Kanada widmet sich vorrangig der Biodiversität.
Thomas Hörren, Biodiversität – was ist denn überhaupt der Stand der Dinge?
„Kurzum: Die Situation ist aktuell noch erdrückender als beim Klimawandel. Die Biodiversitätsforschung macht momentan zwei Dinge. Zum einen erschließt neues Wissen zu biologischer Vielfalt. Zum zweiten dokumentiert sie, was wir Tag um Tag verlieren. Seit vielen Jahrzehnten stellen wir enorme Verschlechterungen der Ökosysteme fest und dokumentieren den immensen Verlust vieler Tier-, Pilz- und Pflanzenarten.
Das Thema ist sehr komplex, faktisch ist auf diesem Planeten nichts komplexer als biologische Vielfalt.
Ökosysteme sind so vielschichtig, dass wir nicht sagen können, welche Art welche Funktion einnimmt. So wissen wir in den allermeisten Fällen auch nicht, wie die Zusammenhänge funktionieren. Den größten Teil kennen wir gar nicht.“
Etwa 1.000.000 Tier- und Pflanzenarten sind momentan akut vom Aussterben bedroht, täglich verschwinden 150 Tier- und Pflanzenarten auf Nimmerwiedersehen. Was steht auf dem Spiel?
„Die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, unsere Lebensmittel und auch die Energieversorgung. Alles um uns herum – alles, was wir nutzen, ist abhängig von biologischer Vielfalt, von intakten Ökosystemen und intakten Böden. Wir leben in Mitteleuropa sehr privilegiert. Aber auch bei uns haben wir global einen der höchsten Wasserverluste. Der Wohlstand, wie wir ihn aktuell genießen, steht auf jeden Fall auf dem Spiel.
Die momentane Situation ist bereits ein Worst-Case-Szenario. Tatsächlich müssen wir Menschen uns erst einmal bewusstwerden, dass wir aktuell binnen weniger Generationen dafür sorgen, dass die Biodiversität in diesem Maße zurückgeht. Es muss dringend darum gehen, diesen Verlust bestmöglich zu stoppen. Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass wir Teil des Ganzen sind.
Was kann bei der Weltnaturkonferenz in Montreal herauskommen?
„Man versucht auf internationaler Ebene gemeinsam Übereinkünfte zu treffen, dabei sind alle Teilnehmenden mit ihrer Stimme gleichberechtigt. Es geht darum, was gilt es zu erhalten und wie wir damit leben. Dabei sind die Voraussetzungen und Interessen in jedem Land sehr unterschiedlich. Natur positiv zu bewirtschaften, stellt dabei einen zentralen Punkt dar.
Tatsächlich schaue ich skeptisch nach Montreal. Es gab schon einige derartige Konferenzen und zahlreiche Strategien – bisher weitgehend erfolglos. Von Seiten der Forschung ist die Sachlage klar. So hoffe ich, dass mit dieser Konferenz das Thema zumindest Aufmerksamkeit und einen notwendigen politischen Anklang findet – so könnte ein breites Bewusstsein entstehen. Momentan spielt das Thema Biodiversität in Deutschland in der Politik aber ja schon keine zentrale Rolle.
Ein sehr wichtiger Aspekt der Konferenz ist die Situation der indigenen Menschen. Ihre Lebensweise stellt kein Problem für die Biodiversität dar. Und diese Menschen leiden gleichzeitig unter den Industrienationen und dem Klimawandel. Ihre Rechte müssen wir ernst nehmen!
Wie könnte eine Wende im Idealfall aussehen?
„Im besten Fall können wir die Abwärtskurve abschwächen und das Niveau auf einem gewissen Level halten. Dazu müssten jedoch alle an einem Strang ziehen und an den Sachlagen aus der Wissenschaft orientieren. Bislang wird in aller Regel primär wirtschaftlich gedacht. Dabei belegen genügend Studien, die Dringlichkeit des Themas.
Das Thema müsste meines Erachtens Zugang in die Schulen und damit in die Bildung finden – mitsamt seiner gesellschaftlichen Zusammenhänge. Das könnte sehr gut über Umweltethik stattfinden – das betrifft uns alle. Die jüngsten Generationen sind eh schon sehr sensibel dafür. Dies zu nutzen, das halte ich für das Allerwichtigste.“
Thomas Hörren
Thomas Hörren ist Insektenforscher (Entomologe), Biodiversitäts-Experte und Vorsitzender des Entomologischen Vereins Krefeld. Er betrachtet Insekten als Teil der Biodiversität und damit allein in Deutschland um die 34.000 verschiedene Arten.
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