Besseres Entlassmanagement: Patient:innen für die Zeit in und nach der Klinik eigenständiger machen

Kommen Menschen in eine Klinik, sind viele bei bestimmten Tätigkeiten gehandicapt, was auf ihre Erkrankung, Verletzung oder postoperative Einschränkungen zurückzuführen ist. „Der Alltag in einer Klinik besteht für Patient:innen aus über hundert verschiedenen Aktivitäten und Betätigungen, die sie teils schlecht oder gar nicht ohne fremde Hilfe ausführen können“, erklären Franziska Nennker und Robert Striesow. Die beiden Ergotherapeut:innen im DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) haben ein Assessment, also ein Bewertungssystem, entwickelt, welches Ergotherapeut:innen ermöglicht, Patient:innen in der Klinik zielführend an eine möglichst große Selbstständigkeit heranzuführen, sie zu empowern. Dies geschieht nicht nur in Hinblick auf den Alltag der Patient:innen während und nach dem Klinikaufenthalt. Die Informationen aus dem Assessment sind eine Art Übergabeprotokoll und im Sinne eines guten Entlassmanagements ebenso für andere Abteilungen, Einrichtungen, Praxen und Personen wichtig, die sich im Anschluss um die Betroffenen kümmern.

Der Wunsch von Patient:innen, während eines Klinikaufenthalts immer mehr und möglichst viel selbstständig tun zu können, ist nachvollziehbar. Zum einen kann das Pflegepersonal selten genau dann zur Stelle sein, wenn jemand bei seinen alltäglichen Verrichtungen Hilfe benötigt. Zum anderen trägt die zunehmende Eigenständigkeit neben anderen Faktoren zum Heilungsprozess bei. „Es gab mehrere Gründe, das Assessment TSK (Teilhabestatus im Klinikkontext) zu entwickeln“, betont Robert Striesow. Der Ergotherapeut verdeutlicht die Stärke dieses besonderen Bewertungssystems: „Es geht um konkrete Dinge, um Betätigungen oder Anliegen, die Patient:innen während des Klinikaufenthalts verändern und verbessern wollen“. Das Bewertungssystem ermöglicht, die Fähigkeiten der Patient:innen mess-, kontrollier- und vergleichbar zu machen. Um die Fortschritte zu überprüfen, finden regelmäßig Evaluationen, also erneute Bewertungen, statt. Durch eine engmaschige Überprüfung lassen sich für die Patient:innen auch kleine Erfolge sichtbar machen. Das ist ein wichtiger Punkt für die Motivation – auch für die Patient:innen, die im Hinterkopf die wenig konkrete Idee haben: „Es soll halt besser werden“.

Ergotherapeut:innen setzen gezielt an, klären Bedürfnisse und Anliegen von Patient:innen systematisch

Die erste zentrale Frage, die Ergotherapeut:innen beim Aufnahmegespräch mit Patient:innen in der Klinik hierzu stellen, ist daher: „Gibt es Handlungen, Aktivitäten oder andere Anliegen, die Sie nicht zu Ihrer Zufriedenheit ausführen können“? Lautet die Antwort „ja“, kann der TSK zum Einsatz kommen. Ergotherapeut:innen sprechen dann mit den Patient:innen über die im Assessment zusammengestellten Betätigungsfelder im Tagesablauf und stellen detaillierte Fragen zu den einzelnen Betätigungen. Um herauszufinden, was den Patient:innen am wichtigsten ist, wird der gesamte Alltag in der Klinik durchleuchtet, was damit beginnt, ob jemand alleine aus dem Bett aufstehen kann, ohne Hilfe wieder ins Bett kommt, sich selbst zudecken kann und wie das Schlafen klappt. „Insgesamt haben wir 15 Betätigungsfelder erfasst“, sagt die Ergotherapeutin Franziska Nennker und veranschaulicht diese weiter: „Es geht unter anderem auch um soziale Kontakte und Teilhabe, Kontakt mit dem Pflegepersonal, den Angehörigen und dem Freundeskreis und, falls gewünscht, anderen Patient:innen“. Verständlich, denn ein Tag in der Klinik kann sehr lang und langweilig sein. Ebenso bedeutsam und für viele Patient:innen mit einer entsprechenden Problematik das Top-Thema, an dem sie arbeiten möchten, ist die eigene Hygiene. Dazu gehören Waschen, Duschen, Zähneputzen, Kämmen, aber vor allem: eigenständig zur Toilette gehen. Es ist nicht immer die Scham, sich von anderen ausziehen oder sich den Po abputzen zu lassen. Vielmehr ist es oft ein zeitliches Dilemma. Wer muss, der muss – egal, ob das Pflegepersonal, das zusätzlich in bestimmte Abläufe der Klinik eingebunden ist, genau in dem Moment helfen kann oder nicht.

Ergotherapeut:innen führen schon in der Klinik Verbesserungen plus Mess- und Vergleichbarkeit herbei

Ist klar, was sich ändern soll, bewerten die Patient:innen auf einer Skala von eins bis zehn, wie gut beziehungsweise schlecht die anvisierte Betätigung derzeit klappt. In der Folge formulieren sie mit der Unterstützung ihrer Ergotherapeut:in als Ziel, wie sie diese Betätigung ausführen möchten, damit sie zufrieden sind. „Das ist naturgemäß individuell sehr unterschiedlich“, berichtet Franziska Nennker. Die Ergotherapeutin erklärt weiter, dass der Maßstab, wie Patient:innen etwas beurteilen, subjektiv ist und ebenso verhält es sich mit dem Ziel. „Selbst wenn ich sehe, der- oder diejenige kann mehr erreichen, ist das nicht relevant. Was zählt, ist die Deutungshoheit des Individuums“. Sind die Ziele definiert, startet die ergotherapeutische Intervention. Kann die Person schlecht stehen, laufen oder will sie die Armbeweglichkeit verbessern, üben Ergotherapeut:innen genau das, jedoch – das ist der große Unterschied zur Physiotherapie – eingebunden in die Betätigung, die sich verbessern soll. Möchte beispielsweise eine Patient:in mit einer Fraktur in der Schulter das Bewegungsausmaß steigern, um sich alleine anziehen zu können, arbeitet die Ergotherapeut:in funktionell mit ihr und lässt sie gleichzeitig üben, sich selbst anzuziehen – unter ihrer fachmännischer Anleitung, versteht sich. Dieses Prinzip ist auf alle Aktivitäten und bei allen Erkrankungen oder Schwierigkeiten und Anliegen anwendbar – von Patient:innen aus der orthopädischen Station mit muskulären oder Skelett-Verletzungen, Patient:innen in der Geriatrie, der Onkologie bis hin zu Menschen, die eine neurologische Erkrankung wie Parkinson, Multiple Sklerose oder einen Schlaganfall haben. „Ziel des Assessments ist es, die Patient:innen zu empowern, ihnen also die Möglichkeit zu geben, den ergotherapeutischen Prozess bereits in den ersten Tagen in der Klinik aktiv mitzugestalten und sie zu befähigen, ihre Fortschritte in der Bewältigung ihres Alltags zu reflektieren“, fasst Robert Striesow zusammen.

Ergotherapeutisches Übergabeprotokoll für Transparenz und Erleichterung beim Entlassmanagement aus der Klinik

Gerade bei Patient:innen mit einer akuten oder neurologischen Erkrankung wie einem Schlaganfall ist es so, dass sie nach der Zeit im Akutbereich auf der Stroke oder Post Stroke Unit innerhalb der Klinik in die nächste Station wechseln. „Die im TSK erfassten Informationen haben unter anderem den Sinn eines Übergabeprotokolls“, legt Franziska Nennker dar, welchen Nutzen das ergotherapeutische Bewertungskonzept in einem solchen Fall, der Verlegung innerhalb der Klinik, hat. Auch erinnert sie sich in diesem Zusammenhang an einen jungen, bettlägerigen Patienten, der neben anderen Zielen formuliert hatte, mit seiner Familie das Wochenende im Garten zu verbringen. Diese Zielsetzung hat er ebenso wie alle weiteren Informationen zum bisherigen Behandlungsverlauf nach seiner Verlegung in eine andere Klinik mitgenommen. So konnten die dort tätigen Ergotherapeut:innen unkompliziert an die Arbeit der zuvor damit befassten Kolleg:innen anknüpfen.

Mehr zum Assessment TSK gibt es hier: https://teilhabestatus-im-klinikkontext.de/ Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie halten Ergotherapeut:innen des DVE vor Ort bereit. Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes finden: https://dve.info/service/therapeutensuche

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